Können wir einmal ringen?

von Andreas Neidl, Verein Bahnfrei

Diese Frage hörten wir bei Bahnfrei in unserem pädagogischen Alltag über die letzten Jahre häufig. Reagiert haben wir darauf situationsadäquat und meist mit unterschiedlichen Ansätzen. Vom Zulassen spaßbetonter Rangeleien, als Jugendarbeiter:in spontan mal den Schlagpolster halten, Nein-Sagen – heute passt es leider nicht, bis hin zu angeleiteten Workshops durch Kampfsportler:innen.

Rangeln, Ringen und Raufen ist gerade für Jugendliche attraktiv, denn die neu gewonnen Kräfte, die mit der Pubertät einhergehen, wollen natürlich getestet werden. Gerade für Jungs ist Kämpfen außerdem eine gesellschaftlich anerkannte Möglichkeit, ihr Bedürfnis nach körperlichem Kontakt zum gleichen Geschlecht zu erfüllen. Dazu kommt, dass Kampfsport (insbesondere MMA – „Mixed Martial Arts“, auf deutsch „Gemischte Kampfkünste“) im Sport allgemein, trotz aller Kontroversen zur Brutalität, klar an Bedeutung gewonnen hat. Die Begeisterung dafür zeigt sich über Altersgruppen und Geschlechter hinweg und wir sehen das Aufgreifen in einem sportlich-kontrollierten Setting, das die positiven Aspekte heraushebt, als Chance für die Arbeit mit Jugendlichen an.

Im besten Falle können sich Jugendliche auspowern, und lernen sich selbst und die Grenzen anderer besser kennen und respektieren. Erst neulich im Jugendtreff: „Ich halte dir gerne weiter den Schlagpolster, aber fokussier dich ein wenig mehr, damit du mich nicht dauernd triffst“. Ein paar Meter weiter passiert auch grad was: Butterfly Kick: wow das geht! Sich Skills aneignen, Tritte oder Hebel beherrschen – so entwickeln Jugendliche ein besseres Körperbewusstsein und Selbstwertgefühl, und eine angestrebte Wirkung ist, dass sie dadurch in hitzigen Situationen letztlich einen kühlen Kopf bewahren.

Für eine gelungene Auseinandersetzung ist zunächst die Rahmensetzung sehr entscheidend. Ich erinnere mich noch gut an meine Teilnahme bei der „Kampfesspiele“-Fortbildung am IFP vor mehr als 10 Jahren, wo es darum ging, andere Jugendarbeiter:innen zum Ringen aufzufordern. Wie unglaublich Spaß hatte das gemacht, als frischer Jugendarbeiter, sich mit anderen Professionist:innen über die Matte zu rollen und auszupowern. Rituale, Fairnessregeln und gegenseitiger Respekt, das ist mir aus dem Workshop außerdem als Lernerfahrung für das eigene Anleiten in guter Erinnerung geblieben. Ein für Jugendlicher konstruktiver Workshop zum Thema Kämpfen steht und fällt damit auch mit einer guten Anleitung.

Einige unserer jugendlichen Oldies, die gerade aus den Bahnfrei-Angeboten herauswachsen, haben sich durch jahrelanges Training ein beachtliches Skillset z.B. im Kickboxen oder Grappling angeeignet. So entstand die Idee, ihnen anzubieten, Trainings für jüngere Jugendliche zu leiten. Sie waren sofort an Bord und der Kick-Off ist gerade erfolgreich über die Bühne gegangen. Das Schöne daran ist, dass sie selbst ab 2017 als damals ca. 15-Jährige an Workshops über spielerisches Kämpfen, u.a. beim Projekt „Bis eine*r weint?“, teilgenommen haben. Ihre Entwicklung über die Jahre zu begleiten, und dass sie nun die Rolle tauschen und als Workshop-Anleiter:innen auftreten, das alles erfüllt uns mit großer Freude.

Für den Workshop haben wir den Jugendtreff mit Matten ausgelegt und unser Equipment wie Boxhandschuhe und Schlagpolster bereitgestellt. Die drei Anleiter haben sich sehr nahbar gezeigt und die Jugendlichen mit viel Witz und Rat und Tat beim Erlernen grundlegender Skills gecoached. Außerdem sprachen sie mit der Gruppe offen darüber, welche positiven Auswirkungen das harte Training in ihrem Leben bisher hatte, was eigentlich Respekt ausmacht und was wiederum keinen Platz im Training haben sollte (z.B. für den „Straßenkampf“ trainieren).

Unsere jugendlichen Oldies haben ihre Sachen nicht nur grandios gemeistert, sondern waren auch sichtlich stolz und gestärkt dank der neuen Verantwortungsrolle und gelungenen Aufgabe. Wir nehmen uns daraus mit, dass in Peer-to-Peer Projekten, wo Jugendliche und junge Erwachsene in Eigenregie am Steuer sind, immense Potenziale stecken, gerade auch in der Anti-Gewalt-Arbeit. Die Initiierung eines solchen Projekts, gemeinsam mit Interessierten und Verbündeten, denken wir daher gerade an.

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