Wenn nix mehr geht… geht da vielleicht doch noch was?

Ein Fallbeispiel über Resilienz in der Jugendarbeit

Nach kontinuierlichem Anstieg der Besucher:innenzahlen in den letzten sieben Jahren – phasenweise über 70 Kontakte pro Öffnungstag (!) – kam der Jugendtreff Steinbauerpark in den letzten Jahren an die Grenzen der Kapazitäten und Ressourcen – und immer wieder auch darüber hinaus. Die Situation des Bürocontainers mit 60 Quadratmetern mitten im Steinbauerpark ermöglicht einerseits, Niederschwelligkeit als Arbeitsprinzip tatsächlich auszureizen, bringt durch die unmittelbare Verflechtung mit dem Sozialraum aber auch einiges an Herausforderungen mit sich.

Frequentiert wurde der Jugendtreff zusätzlich vermehrt von Jugendlichen, die sonst von keinen anderen Institutionen wie Schule, Kinder- und Jugendhilfe oder anderen Jugendeinrichtungen mehr erreicht wurden oder erreicht werden wollten. Das bedeutete einerseits auch vermehrt Situationen mit einem höheren Unterstützungsbedarf, andererseits entstanden im Jugendtreff und im direkten Umfeld durch die große Anzahl an Jugendlichen und den Nutzungsdruck Aneignungskonflikte mit älteren Jugendlichen, sowie auch sehr viele Gewaltdynamiken untereinander. Etliche der Jugendlichen, zu denen schon lange Beziehungen bestanden, kamen nur mehr selten vorbei – und mit ihnen ging auch ein Teil der Wertschätzung für den Jugendtreff. Die verbliebenen jüngeren Jugendlichen suchten vorwiegend eines: Action!

Immer wieder war das Team somit gefordert, auf diese Herausforderungen durch Anpassung des Angebots zu reagieren, um dieses überhaupt aufrecht erhalten zu können. Vor allem physische und verbale Gewalt der Jugendlichen untereinander machte es notwendig, sehr konsequent zu handeln, um den Ansprüchen und der Zielsetzung unserer Arbeit mit Jugendlichen gerecht zu werden. Nachdem aus der notwendigen Durchsetzung der vom Team gesteckten grundlegenden Spielregeln für ein Miteinander, aus Lust an der Eskalation von Seiten der Jugendlichen, der offene Betrieb phasenweise ohne Gefährdung von Jugendlichen und des Teams unmöglich wurde, musste der Jugendtreff immer wieder zumindest kurzzeitig geschlossen werden. Es musste auch einige Male die Exekutive eingeschalten werden, um gefährliches, nicht mehr akzeptierbares Verhalten zu stoppen.

Dem Team gingen nach ein paar solcher Durchläufe die Möglichkeiten aus, diese Dynamik zu unterbrechen. Als Konsequenz wurde in Abstimmung mit Fördergeber:innen und Fachaufsicht das Raumangebot für mehr als zwei Wochen komplett eingestellt. Alternativ fanden zu den Öffnungszeiten Gruppenangebote abseits vom Jugendtreff statt oder das Team war im Park präsent.

In dieser Situation, in der das Angebot ohnehin ständig reflektiert, adaptiert und in Frage gestellt wurde, wurde die Idee geboren, einen kompletten Neuanfang zu wagen. Und zwar so richtig! – um einer neuen, dringend benötigten Kultur eines positiveren Miteinanders Raum zu geben.

Dazu wurden vom Team sämtliche Möbel aus dem geschlossenen Jugendtreff abtransportiert und in der nahen Einrichtung von Streetwork Meidling zwischengelagert – was zur gewünschten und für den Neuanfang notwendigen Irritation der Jugendlichen führte. Den an der Eskalation indirekt oder gar nicht beteiligten Jugendlichen wurde dadurch bewusst, dass die mit dem Jugendtreff verbundenen positiven Erlebnisse, von einer Couch zum Abhängen bis zum gemeinsamen Pokerspielen, keine Selbstverständlichkeit sind, und von ihnen auch ein gewisses Engagement und Eintreten gegenüber ihren Peers erfordern.

Dieses Engagement wurde in einem nächsten symbolischen Schritt aktiviert: Im wieder geöffneten, aber leeren Raum war die Aufgabe, nach einer ersten Runde mit partizipativen Überlegungen zur Neueinrichtung und einer Wunschliste mit „Lieblingsobjekten“ im Jugendtreff, diese Objekte auch wieder gemeinsam zurückzuholen bzw. neu anzuschaffen. Die vorhandenen Personalressourcen ermöglichten es, dies auch spontan gemeinsam mit den Jugendlichen durchzuführen.

Interessant war dabei, dass Dinge, die das Team als essenziell für den Jugendtreff eingeschätzt hatte, schon mit der Hürde, dafür fünf Minuten aufzuwenden, für Jugendliche plötzlich irrelevant wurden. Diese Perspektive ermöglichte eine weitere Reflexion über das Angebot, was davon tatsächlich Sinn macht und was auch draußen bleiben darf. Bereits am ersten Öffnungstag war eine Gruppe von Jugendlichen anwesend, die im noch leeren Jugendtreff eine Stunde lang das Rollenspiel „Werwolf“ spielten – was in der reizüberfluteten Umgebung davor nie möglich war! Auf Initiative von einer jüngeren Gruppe Mädchen wurden an einem Tag alle Couches zurückgeholt, die erste blieb an diesem Tag für die Mädchengruppe reserviert. Einige andere Angebote wie Musikanlage oder Dartscheibe waren über Wochen nicht wichtig bzw. sind immer noch nicht wieder zurück im Jugendtreff.

Der Neuanfang mit Kulturwechsel bedeutete für das Team, sich auch noch einmal bewusst zu werden, wie mit Konfliktsituationen umgegangen werden kann. Es wurde in einer Klausur anhand von durchüberlegten Fallbeispielen reflektiert, welche Situationen wie einzuschätzen sind; ob sie bei Gelegenheit thematisiert werden, ob sie sofort anzusprechen sind oder ob es sich um ein Verhalten handelt, das im Jugendtreff so nicht stattfinden kann. Was jeweils die zugrundeliegende Intention der Jugendlichen sein könnte, und was daraus für Handlungsbedarf entsteht, wurde in einem plakativ im Büro aufgehängten Raster definiert.

Die intensive Auseinandersetzung mit diesen Situationen führte einerseits zu mehr Achtsamkeit im Team und zu der Motivation, im Sinne des Neuanfangs konsequent dran zu bleiben, auch wenn das eine oft nicht einfach umzusetzende weil konfrontativere Auslegung der Rolle als Jugendarbeiter:innen bedeutete.

Und andererseits zu konsequenten Ansätzen wie beispielsweise Diskussionen über im Treff aufgetretenes nicht tolerierbares Verhalten auch nicht im Raum – und damit auf der Bühne – zu belassen, sondern sofort nach draußen vor die Tür zu verlagern. Ausgesprochene befristete „Hausverbote“ als Sanktion wurden ebenfalls abgeschafft, weil die als Herausforderung verstandene Intervention immer auch ein Mitspielen auf der Machtwippe ergab. In der konsequenten Umsetzung bedeutet die Reaktion auf ein die Grenzen des Angebots überschreitendes Verhalten, dass Bedrohungen und Übergriffe als solches benannt werden, und im Sinne von Selbst- und Fremdschutz gegebenenfalls lieber einmal zu früh als zu spät auch die Exekutive eingeschaltet wird, um die Situation aufzulösen.

Die derzeit funktionierende Regelung zur Bearbeitung ist, dass ein das Angebot gefährdendes Verhalten für die Jugendlichen bedeutet, einen Termin mit dem Team im Büro zu vereinbaren – und diesen auch zu absolvieren. Daraus ergibt sich, dass die Jugendlichen selbst über die Dauer entscheiden, und der Termin erst bei Gesprächsbereitschaft ihrerseits stattfindet.

Mit fast allen Jugendlichen, die das Angebot des Offenen Betriebs verunmöglicht hatten, konnten bei den Terminen und dem damit verbundenen Wechsel des Settings gute Gespräche geführt werden. Zu einigen Jugendlichen und Gruppen, deren Kontaktaufnahme mit dem Team und Nutzung des Angebots nur mehr aus Provokation und Eskalation bestand, wurde der Kontakt im und beim Jugendtreff konsequent abgebrochen. Aus Perspektive des Teams besteht dieser Abbruch temporär und ist auf das Umfeld des Jugendtreffs beschränkt. Er wird dort aber auch so aufrechterhalten, bis die Bereitschaft zur Auseinandersetzung von Seiten der Jugendlichen gegeben ist. Mit Streetwork Meidling besteht dennoch ein Angebot, dass diese bei Unterstützungsbedarf wahrnehmen können.

Mit allen anderen Jugendlichen Besucher:innen ist ein spürbar anderer Umgang entstanden, der zwar einerseits die nicht verhandelbaren Spielregeln für den Jugendtreff (Respektvoller Umgang, keine Gewalt, keine Substanzen) als strikten Rahmen hat, aber dadurch auch wieder viele Freiräume, Gestaltungsmöglichkeiten und intensive Beziehungsarbeit zulässt – jedenfalls mehr als in einer Situation der latenten Überforderung des Angebots!

Autoren: Georg Baumgartner und Markus Bohn, Verein “Rettet das Kind” Landesverband Wien

Stadt Wien MA13

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